Anforderungen an die Treuwidrigkeit der Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen

In einem aktuellen Urteil hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 03.08.2023, Az. VII ZR 102/22 entschieden, dass eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) ausnahmsweise als treuwidrig sein kann. Dies ist der Fall, wenn das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist. In einem solchen Fall liegen jedoch nicht automatisch die Voraussetzungen des § 242 BGB vor, die den Architekten daran hindern könnten, sich auf die Formunwirksamkeit der Honorarabsprache zu berufen und seine Planungsleistungen nach den Mindestsätzen der HOAI abzurechnen.

Hintergrund des Urteils war ein Streit zwischen einer Klägerin, die als Architektin tätig ist, und einer Beklagten, die von der Landesstraßenbaubehörde mit Planungsleistungen für eine Flutbrücke und deren Errichtung beauftragt wurde. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit den Planungsleistungen und es kam zu Uneinigkeiten über das Honorar. Die Klägerin rechnete ihre Leistungen schließlich auf der Basis der Mindestsätze der HOAI ab. Die Beklagte weigerte sich, das geforderte Honorar zu zahlen.

Das Berufungsgericht hatte in dem Fall entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf das geltend gemachte Architektenhonorar hat. Die weitere Werklohnforderung stehe der Klägerin gemäß § 242 BGB nicht zu; ihre Geltendmachung erweise sich als rechtsmissbräuchlich.

Der BGH entschied, dass eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI nur ganz ausnahmsweise als treuwidrig erachtet werden kann, wenn das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist. Erforderlich ist dazu ein nicht bloß hartes, sondern schlichtweg untragbares Ergebnis. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs kommt – so der BGH – insbesondere dann in Betracht, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn als Folge der Formwidrigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre 

(st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 – XII ZR 51/19 Rn. 27, BGHZ 224, 370; Urteil vom 27. September 2017 – XII ZR 114/16 Rn. 24, BGHZ 216, 68; Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 286/15 Rn. 12, MDR 2017, 18; jeweils m.w.N.). 

Diese Rechtsprechung – so der BGH – findet auch Anwendung, soweit es um die gemäß § 7 Abs. 1 HOAI (2009/2013) für eine wirksame Honorarvereinbarung erforderliche Schriftform bei Auftragserteilung geht 

(vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2022 – 11 U 231/21, MDR 2023, 560; OLG Oldenburg, Urteil vom 28. Mai 2013 – 2 U 111/12; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284).

In einem solchen Fall kann der Architekt oder Ingenieur dennoch nicht automatisch davon ausgehen, dass er sich auf das Fehlen einer schriftlichen Honorarvereinbarung berufen und nach den Mindestsätzen abrechnen darf. Liegen zudem weitere Umstände vor, die eine Berufung auf die Formunwirksamkeit als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen, kann das fehlende Formerfordernis zur Dokumentation der vereinbarten Mindestsatzunterschreitung überwunden werden. 

Daran fehlte es vorliegend. Der BGH hob daher das Urteil des Berufungsgerichts deshalb auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Dabei wies der BGH auch darauf hin, dass eine Architektin / ein Architekt das Honorar nicht auf der Grundlage der erst zum 17. Juli 2013 in Kraft getretenen HOAI (2013) berechnen kann, soweit Grundleistungen vor ihrem Inkrafttreten vertraglich vereinbart wurden.

Einschätzung von Rechtsanwalt Markus Koerentz, LL.M., Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Architekten und Ingenieure sollten darauf achten, dass Honorarvereinbarungen stets schriftlich abgeschlossen werden, um Klarheit in Bezug auf die Höhe des vereinbarten Honorars und zur Anwendbarkeit der Mindestsätze der HOAI zu erhalten. Insgesamt zeigt das Urteil des BGH, dass Architektinnen / Architekten und Ingenieurinnen und Ingenieure sowie auch deren Auftraggeberinnen und Auftraggeber nicht nur bei der Abrechnung erbrachter Planungsleistungen, sondern auch schon beim Abschluss der dieser Leistungserbringung zugrunde liegenden Verträge sorgfältig vorgehen und insbesondere die geltenden Formvorschriften beachten sollten.